Zusammen braucht man weniger
October 21, 2018
Vom (Gedanken-)Experiment des Müllvermeidens zu einer hyperlokalen Tauschplattform für den täglichen Bedarf
Language notice: this is a post about how to share resources between neighbours. As I am living in Germany and my neighbours speak German mostly, I feel like I have to write this in German.
Eigentlich möchte ich gar nicht erst anfangen, zu erklären, warum. Eigentlich möchte ich einfach voraussetzen, dass wir alle der Meinung sind, dass wir unseren Fußabdruck so klein halten sollten, wie möglich. Dass wir nachhaltig leben sollten. Deutlich nachhaltiger, als wir es im Moment tun.
Persönlich verlasse ich allmählich, da mein Kind das zweite Lebensjahr vollendet hat, eine Phase, wo ich glaubte, Tag für Tag kaum mehr als das absolut überlebensnotwendige tun zu können. Wo ich mit der täglichen Tüte voller Windeln auch meine Überzeugungen in die Mülltonne geworfen habe. Wo mir der Tag viel zu kurz vor kam, um mir Gedanken über Nachhaltigkeit machen zu können.
Inzwischen trifft ein Podcast wie Ohne Müll – Kerstin will es schaffen, in dem es um die Vermeidung von Abfall geht, bei mir wieder einen Nerv. Weniger Abfall produzieren – wie könnte das bei uns funktionieren, in Rösrath, im verdichteten Raum vor den Toren Kölns?
Wir sammeln fünf verschiedene Arten von Müll:
- Papier
- Glas
- Biomüll
- Leichtstoffverpackungen (der “Gelbe Sack”)
- Restmüll
Besonders problematisch finde ich hier die Verpackungen, weil die Recyclingquote von Kunststoffen gering ist und die Verbreitung von Kunststoffen in die Biosphäre zu riskant.
Wie können wir Verpackungen vermeiden?
Vieles fängt beim Einkauf an. Das lokale Supermarkt-Portfolio bietet uns die große Mehrheit der Produkte nur mit Verpackung. Die einzige Ausnahme: die Mehrheit von Obst und Gemüse, wobei paradoxerweise Bio-Obst und Bio-Gemüse häufig eine Umverpackung aufweisen, wo die konventionellen Varianten ohne Verpackung zu haben sind. Konzession an die längere Verweildauer der Bio-Lebensmittel im Regal? Egal ob konventionell oder Bio, Beeren gibt es hier zum Beispiel nur in Plastik. 125 Gramm Himbeeren aus Spanien, in einer 15 Gramm schweren Klarsichtverpackung aus Kunststoff. Unrühmlich auch das Angebot bei Kartoffeln. Die einzige lose erhältliche Sorte bei EDEKA stammt in der Regel aus Cypern, der Rest ist dort wie auch bei ALDI in Kunstoffnetzen oder Papiersäcken verpackt.
Besser ist es auf dem Wochenmarkt und im sehr übersichtlichen Bioladen, um es mit Loriot auszudrücken. Frische Lebensmittel gibt es hier in der Regel ohne Verpackung. Beeren gibt es in einer Pappschachtel, Erdbeeren in Pappe oder im Holzkörbchen.
Milchprodukte sind ein Verpackungs-Wahnsinn. Käse scheint es statt am Stück fast nur noch in Scheiben zu geben. Durch Kleinstmengen je Packung, teils unter 100 Gramm, wird das Verhältnis zwischen Inhalt und Packungsmenge unterirdisch! Der Großteil der Milch wird in kaum wiederverwertparen TetraPaks verkauft. Die einzige Milch in Mehrwegflaschen kommt aus dem Berchtesgadener Land und kostet etwa die Hälfte mehr als die Bio-Milch von EDEKA (Eigenmarke) oder ALDI Süd. Alternativen wie z. B. den Schlauchbeutel sucht man vergeblich.
Die nächste Milch ohne Verpackung gibt es an einer Milch-Tankstelle. Die ist sechs Kilometer entfernt, was vielleicht in Ordnung wäre, wenn man da ohnehin mal vorbei käme. Aber es ist keine Bio-Milch.
Wer Milch ersetzen will, hat es auch nicht viel leichter, dabei nachhaltig einzukaufen. Zum Beispiel die vom Volksmund “Hafermilch” genannten Mischungen aus Wasser und Hafer gibt es nur im TetraPak.
Fangen wir mit dem Einfachen an
Wie wäre es, sich mal auf die Dinge zu konzentrieren, die tatsächlich machbar vorkommen, als das zu betonen, was schwierig erscheint? Scheint ja so ein typischer Reflex zu sein, wenn es um die Veränderung der eigenen Gewohnheiten geht.
Da wären die Konservendosen. Wir kaufen sie zum Beispiel für Kokosmilch, Kidneybohnen, Kichererbsen und Tomaten. Bei Kichererbsen und anderen Hülsenfrüchten kann man stattdessen gut auf getrocknete Ware setzen und dabei auch noch Geld sparen. Dafür muss man in der Regel einige Stunden bis einen Tag Zeit zum Einweichen und eine knappe Stunde zum Garen einplanen. Die Ware wird ohne Flüssigkeit verpackt, was den Energieeinsatz für den Transport deutlich verringert. Leider ist das, was unsere Supermärkte und der Bioladen da zu bieten haben ausnahmslos in PP-Folie verpackt. (Es wäre so einfach, so etwas aus einer großen Schütte in Papiertüten oder besser noch in vom Kunden mitgebrachte Behälter abzufüllen. Aber bis es so weit ist, müssen wir “Verbraucher” außerhalb der Großstätte wohl noch ganz viel Druck ausüben.).
Auch Produkte jenseits der Lebensmittel kommen gerne in fragwürdigen Verpackungen daher. Gerade verstopft eine riesige, leere Flasche Spülmaschinen-Klarspüler unseren Mülleimer, der den gelben Sack beliefert. Spülmittel, Neutralreiniger und ähnliches kann man mit etwas Mühe im Nachfüllpack kaufen und damit einen Teil der Verpackungsmenge einsparen. Nicht aber Klarspüler. Ich habe danach gesucht (“gegoogelt” heißt das ehrlicherweise).
Gefunden habe ich stattdessen einen Weg, Klarspüler gar nicht mehr kaufen zu müssen – sofern dieses Rezept zur Herstellung von Klarspüler aus Alkohol und Zitronensäure tatsächlich funktioniert. Zitronensäure gibt es als Pulver in Verpackung aus Zuckerrohr. Alkohol gibt es mindestens in Einweg-Glasflaschen, und vielleicht finde ich auch noch einen besseren Weg über eine lokale Apotheke.
Gut, so eine Flasche Klarspüler hält einige Monate. Diese einzusparen, wird unseren Müllberg nicht wesentlich verkleinern.
Das bemerkenswerte ist aber: Bis eben habe ich mich nie gefragt, was Klarspüler eigentlich ist und woraus er hergestellt wird. Ich wusste nur, dass das Geschirr mit ihm sauberer wird als ohne. Und deshalb habe ich ihn immer wieder gekauft. Dass man ihn aus unbedenklichen Grundstoffen selbst herstellen kann, wäre mir nicht in den Sinn gekommen. Ob das auch für andere Dinge gilt, die wir in Plastik einkaufen?
Spülmittel für das Spülen von Hand? Ja, geht offenbar. Aus Olivenölseife, Natron und heißem Wasser wird DYI-Spüli, das im Hinblick auf Umweltverträglichkeit vermutlich seinesgleichen sucht.
Spülmittel für die Spülmaschine? Ja, nichts einfacher als das. Natron, Salz und je nach Wasserhärte evtl. Zitronensäure.
Und ja, vielleicht haben wir es vergessen, aber auch Haut und Haare haben wir nicht immer mit Mitteln aus Plastikflaschen gewaschen. Das kann man zum Beispiel auch mit natürlicher Seife machen, die es sogar unverpackt zu kaufen gibt.
Und so geht es weiter. Abgesehen vom Waschen mit Seife habe ich nichts davon ausprobiert. Aber plötzlich scheint es nicht nur möglich, Produkte verpackungsarm oder -frei zu beziehen, sondern auch umweltverträglichere Alternativen einzusetzen.
Synnergien schaffen
Wann lohnt sich der Aufwand für das Ersetzen von Produkten? Ich behaupte, um bei einem Beispiel zu bleiben, der selbstgemachte Klarspüler ist dann besser als der gekaufte, wenn
- dadurch deutlich weniger Müll oder wenigstens weniger problematischer Müll anfällt
- das alternative Produkt aus anderen Gründen umweltverträglicher ist
- der Zeitaufwand zumutbar ist
Punkt (1) ist gegeben, indem der Alkohol und die Zitronensäure, die wir für die Herstellung benötigen, in weniger problematischen Verpackungen geliefert werden (Glas und Karton, daher höhere Recyclingquote) die zum Teil auch noch weiter verwendet werden können. Unklar ist zugegeben der Anteil der Transportenergie, da die Glasflasche schwerer ist als die Plastikflasche.
Punkt (2) dürfte im Vergleich zu den meisten handelsüblichen Klarspülern gegeben sein, wobei unklar ist, was diese enthalten.
Punkt (3) ist gegeben, weil das einmalige Abmessen und Zusammenmischen der Zutaten und Wasser für ein paar Monate ausreicht.
Was, wenn es um einen der Punkte nicht so gut bestellt ist?
Nehmen wir als Beispiel die getrockneten Kichererbsen. Die bekomme ich in meiner Nähe höchstens in 500-Gramm-Packungen aus PP-Kunststoff. Möchte ich eine weniger schädliche Verpackung, muss ich wohl im Versandhandel einen 25-Kilo-Sack aus Naturfasern oder Papier bestellen. Mit der Konsequenz, dass ein Zustelldienst eine nicht unerhebliche Fracht durchs Land karrt, und ich in unserer Wohnung nach einem trockenen, kühlen Plätzchen zur Aufbewahrung suchen muss, wo der Sack etwa 5 Jahre bis zum vollständigen Verzehr lagern kann.
Sinnvoller wird es, wenn ich meine Kichererbsen mit anderen teile. Wenn ich Freunden und Kollegen ein Kilo abgebe, wenn Nachbarn sich bei mir was abholen können. Ob ich das gegen Geld mache (Unkostenbeitrag) oder im Tausch gegen eine andere Ware oder Gegenleistung. Wesentlich ist, dass damit verhindert wird, dass andere selbst Kichererbsen mit überflüssiger Verpackung kaufen müssen, oder dass für jedes Kilo Kichererbsen zusätzliche Transportwege anfallen.
Ein Hyperlokaler Marktplatz für den täglichen Bedarf
Bevor der Handel als Berufsbild und Geld als Zahlungsmittel entstand, waren viele Menschen auch Händler, und Tauschen war selbstverständlich. Wer etwas über den eigenen Bedarf hinaus herstellen oder beschaffen konnte, wollte es gegen etwas anderes tauschen, dass er nicht herstellen oder beschaffen konnte. Märkte ermöglichten es, dass sich Anbieter und Interessenten zur selben Zeit an einem Ort trafen.
Inzwischen hat sich Handel tendenziell zentralisiert. In einem idealisierten Modell-Dorf gibt es genau einen Händler, der alle Kunden kennt und von diesen erfährt, was diese benötigten und es ihnen beschafft. Für die Kunden gestaltet sich die Suche nach Waren so denkbar einfach, denn sie haben einen einzigen Anlaufpunkt.
Ich, der ich Abnehmer für meine überschüssigen Kichererbsen finden möchte, bin ein hoch spezialisierter Händler. Aber niemand weiß davon, und niemand, der Kichererbsen benötigt, käme auf die Idee, mich zu fragen. Also brauche ich einen Markt, auf dem ich Interessenten begegnen kann.
Meine Kunden sollten so nah bei mir sein, wie möglich, um die Wege kurz zu halten. Dazu wäre ein gegenseitiges Vertrauen, wie es unter Nachbarn vielleicht eher gegeben ist, sicher hilfreich. Denn wenn ich behaupte, meine Kichererbsen sind bio-fair-trade-regional, sollte der-/diejenige darauf vertrauen können, dass das auch stimmt.
Auch sollten meine Kunden mich im Idealfall finden können, ohne gezielt und regelmäßig auf dem Markt nach meinen Angeboten Ausschau zu halten. Denn wenn jeder mögliche Käufer für jedes Produkt nach jemandem suchen muss, der dieses gerade anbieten kann, bedeutet das einen immensen Suchaufwand. Ein gutes Maß an künstlicher Intelligenz könnte stattdessen dabei helfen, Anbieter und Nachfragende zusammen zu bringen. Dabei könnten je nach Art des Produkts auch noch unterschiedlich lange Wege als tolerabel gelten.
Gibt es eine solche Plattform?
Egal, welcher Algorithmus uns tatsächlich zusammen geführt hat, am Ende klingelt hoffentlich ein freundlicher Mensch mit einem Schraubglas an meiner Tür und erleichtert mich von einer weiteren Portion Kichererbsen. Und bringt mir Alkohol mit. Und Zitronensäure.
Update 29.10.2018: Ich hatte zuvor aus dem Gedächtnis geschrieben, die einzige Flaschenmilch in meiner Nähe sei eine demeter-Milch, die 80% mehr kostet, als die Eigenmarke. Das stimmte nicht ganz. Tatsächlich handelt es sich um eine demeter-Biomilch von Berchtesgadener Land, also aus der Alpenregion. Sie kostet knapp die Hälfte mehr als die Eigenmarke, die im TetraPak verkauft wird.