Gekommen, um zu bleiben: Gründe, jetzt das Fediverse zu betreten
January 6, 2019
Zuletzt aktualisiert am 16. Oktober 2022
In meinem vorigen Beitrag Wir treffen uns im Fediverse habe ich über dezentrale soziale Netzwerke und das Fediverse geschrieben.
Verglichen mit den großen, zentralisierten Vorbildern ist das Fediverse im Moment klein. the-federation.info listet etwas über 6,1 Millionen Accounts. Etwa 580.000 davon waren innerhalb der letzten 30 Tage aktiv. Lohnt es sich da, Zeit zu investieren, sich ein Netzwerk aufzubauen und Tools zu testen? Oder sogar darüber zu reden und andere Menschen, die wir im Fediverse vermissen würden, zum Mitmachen zu überreden?
Ja, es lohnt sich. Hier sind meine neun Gründe.
1. Irgendwer muss es ja tun
Gandhi sagte angeblich: “Be the change you wish to see in the world”.
Wie würde sich das Fediverse entwickeln, wenn jeder untätig darauf warten würde, dass andere darin was spannendes anstellen?
2. So wenige sind das gar nicht
Auch mit den aktuell (Stand: 16. Oktober 2022) 6,1 Millionen Benutzer*innen lässt sich schon ein persönliches Netzwerk aufbauen. Ein paar Beispiele.
@nextcloud@mastodon.xyz – inhaltlich identisch mit dem Twitter-Account Nextclouders – hat 14.100 Follower. Bei dem Twitter-Pendant sind es etwa 34.000.
Aral Balkan, ein profilierter Aktivist für verteilte, dezentrale soziale Medien, hat 12.600 Follower auf Mastodon und 42.100 auf Twitter.
Jan Böhmermann, der seit dem 25. April 2022 auf Mastodon aktiv ist, hat seitdem 28.000 Follower gesammelt. Auf Twitter sind es aktuell 2,6 Mio.
3. Die Vielfalt der Tools im Fediverse ist jetzt noch überschaubar
Aber sie wächst beinahe Tag für Tag. Im Moment gibt es Alternativen zu Twitter (Mastodon, Pleroma, Misskey), Facebook (Diaspora, Friendica, …), Instagram (Pixelfed), YouTube (Peertube), Reddit/Hackernews (Prismo), Medium (Plume), PasteBin (DistBin), SoundCloud (FunkWhale). Sie alle basieren auf dem ActivityPub Protokoll und sind darauf ausgelegt, mit einander zu kommunizieren.
4. Der nächste Datenskandal bei Facebook und Twitter kommt bestimmt
Bist Du dann bereits im Fediverse aktiv, wirst Du Dich bestätigt fühlen. Ein gutes Gefühl, beinahe so, als hättest Du kurz vor dem Totalausfall Deiner Laptop-SSD noch ein Vollbackup durchgeführt. Nicht so prickelnd hingegen wäre das schale Gefühl, wenn Du feststelltest, dass Du seit dem letzten Skandal mit der Suche nach Alternativen zu Facebook und Co. keinen Schritt weiter gekommen bist.
5. Größe ist nicht alles
Was Du jetzt beispielsweise auf Mastodon veröffentlichst, erreicht zwar numerisch und theoretisch eine kleinere Zahl an Nutzer*innen, als es potentiell auf Twitter der Fall ist. Ich könnte mir aber vorstellen, dass die Qualität der Interaktionen und die Bereitschaft, sich auf einen Beitrag einzulassen (z. B. durch Link anklicken, antworten, boosten – vergleichbar mit re-tweeten) auf Mastodon höher ist.
Immer wieder liest man Berichte (auf Mastodon) von Nutzer:innen darüber, dass sie auf Mastodon, trotz geringerer Anzahl folgender Accounts, deutlich mehr Reaktionen erhalten. Das könnte auch darauf zurück zu führen sein, dass die meisten Rezipient:innen das Fediverse nicht durch Algorithmen gefiltert wahrnehmen, die versuchen, den bereits populären Beiträgen und Accounts zu noch mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Auf Mastodon wird (zumindest in den mir bekannten User Interfaces) strikt chronologisch sortiert. Das führt dazu, dass die Chancen, wahrgenommen zu werden, deutlich gleicher verteilt sind.
6. Du willst doch Avantgarde sein
Du möchtest im Jahr 2024 sagen können: Ich war schon mit dabei, als das Fediverse noch weit unter einer Milliarde Nutzer*innen hatte.
7. Im Fediverse kannst Du vielleicht etwas ganz neues machen, was noch kein anderer macht
Probier doch einfach mal, ein bestimmtes Thema oder Hashtag zu beackern. Die Chancen, dass Du damit im Fediverse etwas besonderes machst, stehen gar nicht so schlecht.
8. Man muss ja nicht alles von Hand machen
Es gibt sicherlich etliche Wege, Beiträge von Facebook und Twitter auch in Mastodon, Pleroma oder Friendica zu veröffentlichen. Und Instagram-Posts auf Pixelfed und Youtube-Videos auf Peertube.
Wenn Du darüber nachdenkst, ziehe auch den umgekehrten Weg in Betracht: bespiele Deinen Mastodon-Account gezielt und re-poste automatisch auf Twitter und Facebook.
Solltest Du Dich für den Weg des automatisierten Crosspostings entscheiden, habe ich hier zwei gut gemeinte Tipps:
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Achte darauf, dass Nachrichten, die z. B. Twitter-typische Elemente wie Twitter-Benutzernamen oder “RT” enthalten, nicht auf Mastodon landen. Sonst leidet das Nutzer:innenerlebnis dort erheblich und der Eindruck entsteht, dass Du Mastodon nur als zusätzlichen Kanal für Reichweite missbrauchst, die die Menschen dort aber ziemlich egal sind.
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Sei bereit zum Dialog. Denn wenn Menschen auf Deine Beiträge reagieren und etwa eine Frage stellen, Du aber nicht antwortest, schmeckt das ebenfalls sehr nach automatischer Zweitverwertung. Es entsteht wieder der Eindruck wie unter (1) genannt, was vielen nicht gefällt.
9. Die Mühe ist nicht umsonst
Die Zeit, die Du in Mastodon investierst, ist nicht “für die Katz”, selbst wenn Du Dich entschließen solltest, später auf eine andere Instanz zu setzen oder sogar ganz von Mastodon Abstand zu nehmne. Du wirst Deine Daten sehr warscheinlich zu anderen Diensten/Plattformen/Instanzen migrieren können, wenn sich herausstellt, dass Du lieber einen anderen nutzen würdest. Das Fediverse ist offen. Datenportabilität ist bei Plattformen wie Mastodon von Tag Eins mitgedacht. Beim Umzug zwischen zwei Mastodon-Instanzen werden sogar deine Follower automatisch mit umgezogen.
Also los! Ich bin @marian@gruene.social